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Nur Mut! 


Predigttext zur Bonner Reformationsfeier am 31. Oktober 2025

 

Luisa Neubauer


– Es gilt das gesprochene Wort –


Vielen Dank für die Einladung, hier sprechen zu dürfen. Ich freue mich darüber, endlich auf ein sonst wenig beachtetes Detail meiner Biografie verweisen zu können: Es war im Jahr 1998 keine andere als die Martin-Luther-Kirche in Hamburg, in der ich zusammen mit meinen Geschwistern getauft wurde. Jahre später wäre ich im Konfirmationsunterricht vermutlich etwas aufmerksamer gewesen, hätte ich damals gewusst, dass es mich zum Reformationstag im Jahr 2025 ausgerechnet hierher verschlagen würde.


Was mir aus der damaligen Einheit zur heutigen Geschichte aus dem Matthäusevangelium im Kopf geblieben ist, war vor allem mein Sitznachbar, der – kurz bevor es losging – lautstark gähnte, sich zu mir herüberbeugte und in mein Ohr raunte: „Die Geschichte kenn’ ich schon. Das ist die, in der Jesus Schlittschuh läuft.“ So viel dazu.


Künftig hingegen, so viel ist klar, braucht es keine Wunder und keine Heiligen, um auf – oder vor allem durch – den See Genezareth zu laufen. Der ist nämlich akut vom Austrocknen bedroht und wird in den nächsten Monaten mit einem enormen Aufwand durch entsalztes Mittelmeerwasser künstlich aufgefüllt. Und damit wären wir mittendrin – in einer Welt, in der selbst die heiligsten Geschichten nicht von planetaren Krisen verschont bleibt.


Der Blick auf dieser Welt, er muss in die Verzweiflung treiben. So geht es mir, während ich diese Zeilen formulieren. Wo soll ich anfangen?


Alleine in der letzten Woche wurden a) Neue Klimarekorde gebrochen, b) zum höchsten grade versehrten Menschen und Kindern bombardiert, c) politische Richtungswahlen von einem Autoritären gewonnen und d) Warnungen über eine historische Hungersnot wurden mit Nachdruck überhört.


Das Dramatische dabei sind nicht diese Meldungen alleine, sondern dass sie auf vermutlich jede Woche des vergangenen Jahres zutreffen. Das Dramatische sind nicht nur die Ereignisse, sondern dass sie weitgehend vermeidbar gewesen wären, das Dramatische ist, dass die Omnipräsenz der vielen Krisen, sie zu einem Grundrauschen haben verkommen lassen, sie sind immer da, also sind sie nie da.


Ich stelle fest, dass es nach all den Jahren keinesfalls leichter, sondern immer schwerer wird, Worte zu finden, die groß genug sind, für all das. Alles, was ich habe, ist eine Sprache, aus einer fremden Zeit, die für eine fremde Welt geschaffen wurde.
Klassisch, denkt sich jetzt wohl der ein oder andere hier, das fängt ja gut an, kommt die Aktivistin in die Kirche und zieht erstmal die Laune in den Keller.


Keine Sorge, ich hab mich gewappnet, ich hätte zum Beispiel Petrus im Angebot, der im Sturm auf dem See Genezareth von Jesus aufgefordert wird, nicht den Glauben zu verlieren. Was heißt das für uns? Richtig, gerade in Krisen: bloß nicht kleinkriegen lassen. Und in der schlechten Lage, bloß nicht die Laune verlieren. Gemäß meines Auftrages als Klimaaktivistin würde ich dann fröhlich dazu aufrufen, die Krisen anzupacken, und loszulegen. Amen, liebe Gemeinde. 


So könnte man es angehen, Ja. Ich aber schlage vor, dass wir es uns an dieser Stelle nicht so leicht zu machen. Denn obwohl wir überall auf der Welt mutige Menschen sehen, offensichtlich reicht das noch nicht. Offensichtlich reicht der routinierte Aufruf “nur Mut”, längst nicht mehr, um der Gegenwart gerecht zu werden.


Da fehlt etwas. Dieses “Etwas”, das fehlt, habe auch ich lange übersehen, in seiner Tragweite unterschätzt, weggenuschelt, im Eifer des Gefechts.


Wenn wir von Mut sprechen, dann geht es meistens um Mut, in seiner bekanntesten Form. Das ist der Mut des Loslegens, das ist der Mut Haltung zu zeigen. Wenn man die Verzagtheit der Menschen in der Welt und die Verzagtheit in uns verstehen - und verändern will, dann muss das, was gemeinhin unter “Mut” verstanden wird, radikal erweitert werden, mindestens Ver-vierfacht werden.


Und damit landen wir bei Martin Luther, und seinen 95 Protest-Thesen, die er heute vor 508 Jahren bekannt machte. Doch: Was passierte davor?


Luther ging in sich. Wer “loslegen” will, muss wissen, wo man ablegt. 
Bevor Jesus über den See Genezareth lief, was tat er? “Er (ging) auf einen Berg, um ungestört beten zu können. Bei Einbruch der Nacht war er immer noch dort, ganz allein.” Er hielt inne, im gegenwärtigen Augenblick. Damit geht es los: mit dem “Mut Anzukommen”.


Das Ankommen im Hier und Jetzt, im eigenen Sein oder - wer mag - im eigenen Glauben, das war früher eine Aufgabe, heute ist es eine Zumutung. Längst verwischen nicht bloß die Augenblicke vor unseren Augen, viel mehr wischen wir sie weg, auf den Screens, direkt vor uns. Alles sind wir bereit in Bewegung zu setzten, um nicht eine Sekunde Still-Stand aushalten, nicht mal einen Atemzug (-...-) lang, gewähren wir uns.


Eine Logik hat das, wer ankommt im Augenblick, der liefert sich in gewisserweise aus. Was passiert da? Vielleicht findet man in der Stille, was man lieber nicht finden würde. Diejenigen, die die lautesten Parolen brüllen, finden in sich womöglich eine Überforderung, diejenigen, die sich für besonders furchtlos halten, finden die eigenen Ängste. Ein Politiker, der die ökologische Zerstörung für nebensächlich und wirtschaftlich geboten hält, findet, versteckt hinter all den fossilen Reflexen vielleicht eine gewisse Einsamkeit, eine lang verdrängte Entfremdung von der Welt.


Für das Ankommen braucht es folglich Mut. Mut, der gleichermaßen den Grundstein legt, für allen Mut, der folgen mag. Hätte Luther sich nicht seinem Schmerz im Glauben gestellt, würden wir heute wohl hier nicht sitzen.


Ich habe diese Form des Mutes lange unterschätzt. Ich wollte, dass Menschen voll und ganz Rausgehen in die Welt, in habe übersehen, dass wir dort draußen erst dann bestehen können, wenn wir unseres Selbst-bewusst sind. Wer nicht in sich hinein hört, aus Angst vor den eigenen Ängsten, der sieht höchstwahrscheinlich auch nicht, welche großen Kräfte in uns nur darauf warten, eingesetzt zu werden, welche ungehemmte Liebe dort bereitsteht, wie Neugier und Nächstenlieben entfaltet werden will.
Wie viel Zeit verschwendet wurde, im Versuch draußen zu suchen, was schon längst in uns ist. Der Mut, anzukommen, ist weit mehr als eine lustige Übung der Selbsterkenntnis. Es ist viel mehr ein Imperativ einer bebenden Welt.


Mut, die Zweite.

Martin Luther hat sich selbst erhört, um nun die Welt zu erhören, das Schöne und das Schreckliche. Diese Reihenfolge war zwingend: Erst wenn ich weiß, dass ich bin, wer ich bin, wo ich bin, kann ich die Welt als das sehen, was sie ist. Wer sich selbst nicht sieht, läuft Gefahr, in der Welt nichts als Projektionen der eigenen verdrängten Sorgen oder falschen Hoffnungen zu sehen.
Und weil der Blick in die Welt zeigen kann, was man lieber nicht sehen möchte, was man lieber nicht wahrhaben möchte, braucht es auch hier: Mut. Das ist der „Mut, die Welt zu sehen.“


Als Petrus und die Jünger im Sturm Jesus sehen, schrien sie: „Es ist ein Gespenst!“ – und erschraken. Mutig sein heißt hier: genau hinzuschauen. Was ist da wirklich? Warum es Mut braucht, die Welt zu sehen, zeigt uns die Erde jeden Tag. Dabei verweise ich gar nicht auf die zu Randnotizen verkommene Erkenntnis, dass der ökologische Kollaps uns und das Leben auf der Erde existenziell bedroht. Wer heute in die Welt blickt, sieht nicht nur einen ökologischen Kollaps, sondern Menschen, die ihn ununterbrochen kleinreden oder gar vorantreiben. Man sieht eine Ignoranz, die in gewisser Weise die Natur unseres Seins existenziell verändert.


Die Klimakrise ist nicht einfach eine Krise des Klimas. Die gelebte Ignoranz gegenüber diesem ökologischen Zusammenbruch ist immer auch: der Boykott des eigenen Verstands. Es ist der Bauer eine Mauer zwischen uns und unseren Sinnen. Die ökologische Wirklichkeit zu verdrängen heißt: die Vergangenheit zu verklären, die diese Krisen hervorgebracht hat. Es heißt: die eigene Zukunft abzuwerten. Es heißt, sich selbst auszuladen aus dem eigenen planetaren Zuhause. 


Es ist kein Wunder, dass diese Form der Ignoranz und Verdrängung – dieses „Nicht-in-die-Welt-Sehen“ – hysterische Abwehrreaktionen all jener hervorruft, die darauf angesprochen werden. Es ist kein Wunder, dass die Angst vor dem Blick in die Welt, zunehmend verwirrte politische Programmatiken hervorbringt. Pläne, die von sich behaupten, Antworten auf eine Welt zu formulieren, die sie im Kern nicht sehen wollen. Es ist kein Wunder – ganz im Gegenteil –, dass diejenigen, die zumindest versuchen, der Welt in die Augen zu sehen, beschimpft und beleidigt werden. Sie - Wir - gefährden Geschäfts-, Politik- und Lebensmodelle, die auf Verdrängung aufbauen – und existenziell darauf angewiesen sind, dass es andere ihnen gleich tun.
Den Mut zu haben, die Welt zu sehen, wie sie ist, heißt auch zu erkennen, dass die Welt da draußen und die Welt in uns miteinander verwoben sind. Dass wir die Welt sind, in all unseren Widersprüchen. Dass wir die Welt in jedem Atemzug ein- und ausatmen, dass wir in jedem Augenblick, in jeder Mahlzeit, in jeder Sonnenstunde untrennbar mit ihr verbunden sind. In die Welt zu schauen, heißt Welt-en zu sehen, die sich widersprechen, die Dualismen von Schwarz und Weiß, richtig und falsch, gut und böse aufbrechen.


Den Mut zu haben, in die Welt zu schauen, heißt aber auch: zu sehen, was nicht vorgesehen ist – die unerwarteten positiven Überraschungen, die Wendungen, mit denen niemand gerechnet hat. Wer Angst hat, die Grausamkeiten der Welt zu erblicken, wird auch die Sonnenstrahlen drumherum nicht sehen.


Und: In die Welt zu schauen heißt, Zugehörigkeit anzuerkennen. Auch das kann Furcht einflößen, bekanntermaßen wächst aus Zugehörigkeit: Verantwortung.


Mut, die Dritte.

Luther legte los – und wie! Petrus auf dem See Genezareth tat ebenfalls etwas - in meinen Augen recht Mutiges. Er rief zu Jesus hinüber: „Herr, wenn du es wirklich bist, dann befiehl mir, auf dem Wasser zu dir zu kommen.“ Ganz schön unverfroren.


Obwohl der Mut des Loslegens wohl der bekannteste Mut ist, bleiben die allermeisten Losleger und Loslegerinnen unerwähnt. Den Mut zu haben, loszulegen, ist – entgegen der gängigen Erzählung – meistens keine Heldentat auf offener Bühne. Es ist auch nicht der eine große Hebel, der umgelegt wird. Es ist ein: Sich auf den Weg machen, in die beste, verfügbare Richtung. Es ist ein Wissen darum, dass niemand alles tun kann, aber dass jede und jeder etwas tun kann. Es ist ein: Die Tatsache akzeptieren, dass niemand auf der Welt genau die Lebenserfahrung teilt, die man selbst hat - und dass allein das, Grund genug ist, sich einzubringen. Meistens ist dabei das Ziel noch längst nicht in Sicht, und meistens wird man nie erfahren, wen man mit seinem Wirken alles berührt und bewegt hat. Das hält gerade in diesen Tagen viele davon ab, es überhaupt zu versuchen. „Die Welt ist doch so groß, und ich bin so klein.“ Das ist – bei allem Respekt – keine raffinierte Erkenntnis, sondern eine trügerische Bequemlichkeit.


Wenn ich Sie und euch heute fragen würde, ob Sie mit mir in das Jahr 1517 reisen wollten, um Martin Luther zu treffen – Sie würden vermutlich Ja sagen. Und gleichzeitig würden Sie wohl die Sorge äußern, aus Versehen durch eine unbedachte Tat den Lauf der Geschichte zu verändern. Wie bemerkenswert, dass wir so selbstbewusst mit unserem Wirken in der Vergangenheit umgehen – und so selbstverständlich so tun, als hätte unser Handeln heute keinen oder kaum Einfluss auf die Zukunft.
Mut zu haben, loszulegen, heißt auch: Mut zu haben, anzuerkennen, dass unser Handeln – in jegliche Richtung – einen Unterschied macht.


Mut, die Vierte.
Was hat Luther gemacht, nachdem er sich zu Wort gemeldet und seine Thesen verbreitet hatte? Er hat den Preis gezahlt für seinen Mut. Er hatte den Mut, stehenzubleiben. Er hat erkannt, dass sein Versuch, die Kirche zu verändern, eine ungekannte Tragweite entwickelte. Er blieb stehen. Petrus hatte den Mut, Jesus aufzurufen, ihn zu bitten, ihn zu sich zu rufen – und dann, als es darum gegangen wäre, zu den Konsequenzen seines eigenen Handelns zu stehen, verließ ihn der Mut. Er ging unter.


Dieser rückwärtsgerichtete Mut, der Mut, Verantwortung zu übernehmen für das eigene Handeln, standhaft zu bleiben, wird kaum besprochen. Es ist ein stiller Mut. Ich hadere oft mit ihm, weil er so unerwartet eingefordert wird. Laut zu werden auf der Straße ist das eine – da gibt es die Fotos, die Schlagzeilen. Später zu Hause, ohne Pauken und Trompeten, wäre es ein leichtes im Gegenwind oder im Hass zu versinken, sich zu verstecken. Zu verschanzen, sich zu schwören, so etwas nie wieder zu tun. Es braucht Mut, all das nicht zu tun, sich im Gegenteil, sich zu wappnen, erneut aufzustehen.


Dieser Mut, stehen zu bleiben, ist der Mut, der von Regierungen verlangt wird, um Versprechen nicht nur zu machen, sondern sie auch zu halten. Diesen Mut brauchen Regierungschefs, wenn Absagen an Rechtsaußen auch dann durchgezogen werden müssen, wenn es unbequem wird. Diesen Mut brauchen Konzerne, die im Begriff sind, ihre Nachhaltigkeitsziele mit Blick über den Atlantik leise rückabzuwickeln. Dieser Mut ist von uns gefragt, auch dann Haltung zu zeigen, wenn niemand hinsieht, wenn die Hände zittern. Dieser Mut ist entscheidend, denn er sorgt dafür, dass der Mut des Loslegens Wurzeln schlägt. Und so wird dieser Mut zum eigentlichen Liebesbeweis dem eigenen Loslegen gegenüber.


Mut, die Fünfte.
Und dann? Was kommt nach dem Mut, anzukommen, zuzuhören, loszulegen und standhaft zu bleiben? Der trivialste und zugleich bahnbrechendste aller Mutformen:


Der Mut, sich die Geschichte zu eigen zu machen. Denn es sind nichts anders als Geschichten, die die Vergänglichkeit jedes einzelnen Augenblicks überwinden. Die Geschichte von Martin Luther handelt nicht von einem einzelnen Mann mit klugen Gedanken und dem Glück einer parallelen Buchdruckrevolution. Ein kluger Gedanke – und sei es der klügste –, eine kluge Erfindung – und sei es die beste –, eine kluge Rede – und sei es die schönste –, all das verändert zunächst nichts anderes als einen einzigen Augenblick an einem einzelnen Ort. Für jeden anderen Augenblick und jeden anderen Ort braucht es Menschen, die sich angesprochen fühlen und Verantwortung übernehmen, die durch ihre Worte neue Welten schaffen.


Jede große Geschichte ist ein Gemeinschaftswerk der Vielen, die gewirkt haben – oftmals auf eine Weise, die sie sich selbst nie hätten erträumen lassen. Die Geschichte der Reformation ist die Geschichte einer Bewegung, die eine neue Geschichte mit so viel Nachdruck weitergetragen hat, dass sie zum Leben erweckt wurde.


Geschichten werden nicht nur weitergetragene, sie formen, wer wir werden, sie spiegeln, wen wir sehen - und wie wir uns selber sehen. Je länger wir spöttisch auf die Welt gucken, wahlweise abgeklärt oder ironisch kommentieren, was dort draußen abgeht, als wären wir keine Bewohner der Welt, sondern flüchtige Besucher ein besonders skurrilen Kulisse, desto mehr werden wir zu Besuchern unserer eigenen Gegenwart. Für alle die zerstörerischen Kräfte, die auf Gleichgültigkeit und vorauseilenden Gehorsam setzten, ist das, neben, das größte Geschenk.


Allein in der letzten Woche wurden a) neue Klimarekorde geschrieben, b) Menschen und Kinder in erschütterndem Ausmaß bombardiert, c) eine politische Richtungswahl von einem Autoritären gewonnen und d) Warnungen vor einer historischen Hungersnot mit Nachdruck überhört.


Was in derselben Woche ebenfalls passiert ist: a) historische Erfolge im Regenwaldschutz wurden bekannt, b) Eltern zweier verfeindeter Kriegsparteien haben sich massenhaft zusammengeschlossen, um für einen nachhaltigen Frieden einzustehen, c) zehntausende Menschen haben vor einer wichtigen Wahl für mehr Klimaschutz demonstriert und d) auf Schulen in fünf Kontinenten wurde darüber gesprochen, wie der Welthunger besiegt werden kann.


All das ist gleichzeitig wahr, gleichzeitig in dieser Welt. Der Kampf um die Welt ist immer auch ein Kampf um die Geschichten. Um die Deutungshoheit. Darum, ob Geschichten jenseits von Schwarz und Weiß existieren dürfen. Ob Geschichten, die nicht von Held und Antiheld handeln, sondern von der Macht der Vielen, erzählt werden dürfen, Raum bekommen, andere bewegen oder inspirieren dürfen. Und diese Fragen gehen nicht nur an die großen Plattformen und Medienhäuser, sie gehen auch an uns selbst. Was findet in unseren Gesprächen statt? Wen nehmen wir wahr? Ausschließlich die, die am lautesten poltern und polemisieren? Oder sind es auch die zärtlichen, die vorsichtigen, die achtsamen? Erzählen wir vom „Epischen Fail“ des Petrus, als er versuchte, über das Wasser zu laufen – oder erzählen wir vom Mut, es überhaupt erst versucht zu haben, daraus zu lernen und damit zum Sinnbild für uns alle zu werden?

Nicht nur jene, die die Welt kaputt machen wollen, verhärten sich in diesen Tagen. Auch alle andern tun das – wenn sie nicht aufpassen. Umso mehr ist es Zeit, genau hinzuschauen: hinter die altbekannten Mantras, die Fronten, die Vorurteile – sich selbst und einander gegenüber. Hinter das trügerische Überlegenheitsgefühl, sich auf der moralisch richtigen Seite eingerichtet zu haben.


Sich alle dem mutig zu widersetzen, ist eine Zumutung. Man tut es nicht aus Großzügigkeit der Welt gegenüber, sondern aus Achtung vor sich selbst – vor dem eigenen Wirken, den eigenen Sinnen und dem eigenen Verstand.


Und, das habe ich als kleine Ermutigung im Angebot: Wer mutig ist – in welcher denkbaren Form auch immer –, der macht die Erfahrung, dass Mut ein Muskel ist. Je öfter er benutzt wird, desto größer wird er.


Dafür schlage ich vor, dass wir eine Annahme treffen:


Dass wir als Gesellschaft viel weiter sind, als gedacht, dass wir praktisch auf der Schwelle zur Erkenntnis stehen, wie tiefgreifend die Krisen sind. Dass viel mehr Menschen als gedacht längst sehen, dass alles, was alles, was “dort draußen“ verändert werden soll, unweigerlich hier drinnen beginnt. Dass Herzen schlagen, überall. Eben, weil eine ökologische Transformation immer auch eine Transformation der Herzen ist. Ich schlage vor, wir nehmen erstmal an, dass Millionen Menschen schon längst für sich verstanden haben, dass wir es uns nicht mehr leisten können, nicht auf uns selbst zu hören. Ich schlage vor, wir sind mutig, und all das annehmen. Und dann danach handeln.


Und eins noch:


Bei alledem dürfen uns wichtig nehmen.


Nie war es wichtiger, den Vögeln zuzuhören. Nie war es wichtiger, den Mut in jedem Augenblick zu sehen. Nie war es wichtiger, sich in die Welt zu verlieben – am besten jeden Tag aufs Neue. In all ihre Widersprüche, in all die Widrigkeiten und Wunder, die sie uns täglich bereithält.


Nur Mut. Und zwar so richtig.

Copyright: Klaus Th. Finkam

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